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Kurt Hübner - Das Bremer Theaterungeheuer


Das vorweg: er war kein Bremer Kopf, denn geboren wurde Kurt Hübner am 30. Oktober 1916 in Hamburg. Das wollen wir ihm verzeihen. Aber die Jahre, die er in Bremen als Theaterprinzipal arbeitete, kann man vermuten, gehörten in seinem Künstlerleben sicher mit zu den intensivsten. In jedem Fall bekommt es anders herum einen Sinn, ihn in die Reihe großer Bremer aufzunehmen, so entscheidend und einschneidend er das kulturelle Leben der Stadt seit 1962 beeinflusst hatte, bis ihn die Kleingeistigkeit eines Kultursenators Moritz Thape - ganz richtig heißt das seinerzeit in Bremen: Senator für Bildung, Wissenschaft und Kunst – und provinzielle Piefigkeit mancher Kulturverantwortlichen den Theatermann vom Hof jagten. Auch wenn Hübner 1974 mit seinem ihm eigenen Selbstbewusstsein selbst seinen Hut nahm, es kam auf das Gleiche hinaus.

Es waren Zeiten, in denen es Bremen wirtschaftlich besser ging als heute, wenn auch bereits 1961 die Borgward-Werke AG in Konkurs gegangen waren, aber es waren die Jahre, bevor es auf den Helgen der AG Weser und des Vulkan in der ersten Hälfte der siebziger Jahre aufgrund der Ölkrise, der internationalen Konkurrenzen in der Werftindustrie und eines verwirrenden Handelns seitens des Bremer Senats und der jeweiligen Chefetagen in den Betrieben eng wurde.

Da stand Anfang der sechziger Jahre also dieses Theater am Goetheplatz, das nach der Bombenzerstörung im Jahre 1944 des alten Opernhauses in den Wallanlagen und des Schauspielhauses, das schon vorher eben am Goetheplatz, 1950 dann als Mehrspartenhaus als einzige der beiden Spielstätten wiedereröffnet wurde und wo man seitdem die diversen Sektionen, die zu bespielen waren, man mit den entsprechenden Mühen unter einen Hut bekommen musste: Oper, Schauspiel, Operette und das Ballett. Die Kammerspiele im Haus Atlantis in der Böttcherstraße waren die zweite Bühne, die vom Goetheplatz aus verwaltet und bespielt wurde.

Es war ein so richtig solides Theater, das in all seinen Disziplinen dem allgemeinen bürgerlichen bis kleinbürgerlichem Publikums- und Abonnentengeschmack voll gerecht wurde. Störungen oder Experimente waren da nicht eingeplant.

Seit 1955 und bis 1962 war es von Generalintendant Albert Lippert (1871–1978) in sehr traditionellem Stil geleitet worden, entsprechend sah auch der Spielplan, den man bespielte, keine großen Ausbrüche vor.

Das sollte sich dann ab 1962 sehr gründlich ändern. Ausgesprochen mutig war die Entscheidung des damaligen Aufsichtsrats des Bremer Theaters zu nennen, als er den zu der Zeit in Ulm verpflichteten Kurt Hübner von da abwarb. Der hatte dort seit 1958 schon einigen Wirbel verursacht. Zu einem seiner effektvollsten Griffe war sicher das Engagement des noch jungen Regisseurs Peter Zadek (1926–2009), der bis dahin als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie, die 1933 aus Berlin exilieren musste, in England gelebt hatte.

Ein ebenso guter Beweis für Hübners immer gute Nase für außergewöhnliche Talente galt dem Bühnenbildner Wilfried Minks (1930-2018), der 1958 in Ulm mit seiner Ausstattung von Shakespeares Viel Lärm um nichts seine Arbeit aufnahm. Peter Palitzsch (1918–2004) war für die Inszenierungen von Bertolt Brechts Werken verantwortlich, der damals an Westdeutschlands Bühnen durchaus noch verpönt war.

Einen richtig deftigen schönen Theaterskandal, wie man ihn in der sechziger Jahren und später auch manches Mal in Bremen erleben durfte, gab es gegen Ende von Hübners Ulmer Ägide, es wurde praktisch zum Abschiedsgeschenk von Hübner und seinem Ensemble an die Stadt und an sein dortiges Publikum. Es handelte sich um die deutsche Erstaufführung des irischen Autors und Dramatikers Brendan Behans Die Geisel (The Hostage), in der Übersetzung von Annemarie und Heinrich Böll, und in der Inszenierung von Zadek und dem Bühnenbild von Minks. Die Tragikomödie spielt in einem Bordell, in dem IRA-Männer einen britischen Soldaten als Geisel halten, um einen zum Tode verurteilten Kampfgenossen freizupressen.

„Am Ende hing Pulverdampf im Ulmer Parkett. Die Bühne verschwand in Rauschschwaden. Der Nachbar war nicht mehr zu erkennen. Man hörte Husten statt Text. Schimpfend strebten Teile des Publikums ins Freie. Andere blieben, um ihren kompakten Unmut mit Geschrei, mit Gebuh und lauten Formulierungen des Abscheus kundzutun. Die meisten husteten, schlugen mit dem Taschentuch um sich, schrien aber nun hinwieder ‚Bravo!‘ und waren gesonnen, trotz Pulverdampf und Atemnot die deutsche Erstaufführung von Brendan Behans Geisel zu einem Erfolg hinaufzuklatschen. Wahrlich, wir waren in einer Schlacht! Zorn bebte von beiden Seiten.“ So erlebte der Theaterkritiker von Theater heute, Friedrich Luft, den Abend.

Die Geisel wurde dann auch gleich in die erste Spielzeit unter Hübners Leitung an den Goetheplatz importiert, natürlich wieder in Zadeks Inszenierung und Minks' Bühnenbild. Zuvor hatte das Duo bereits John Osbornes Luther auf die Bühne gestellt. Spätestens seit diesen zwei turbulenten und für das Bremer Publikum ungewohnten Arbeiten wusste dieses, dass es mit der vorherigen Ruhe zu Ende ging, obwohl nach wie vor die traditionellen Versatzstücke eines Stadttheater-Repertoires den Spielplan füllten, Opernaufführungen von Werken von Jacques Offenbach, Giuseppe Verdi, Mozart, Puccini und anderen, aber es gab auch bereits erste Inszenierungen von Hübner selbst, wie Schillers Die Jungfrau von Orleans (Bühne: Wilfried Minks) und weitere von Zadek (Ein Sommernachts Traum - Bühne: Minks) oder Peter Palitzsch mit Der kaukasische Kreidekreis (mir Katharina Tüschen in der Rolle der Grusche Vachnadze).

Das bunte Bühnentreiben während der allerersten Hübner-Jahre und das langsame Eingewöhnen des Bremer Theaterpublikums in neue Darstellungsformen und Interpretationsweisen schildert Johannes Jacobi äußerst lebendig in seinem Artikel von 1964 in DIE ZEIT "Bremen - Wende um 180º Grad"

Wenn man die Namen der Ensemblemitglieder, der Regisseure und der Bühnenbildner der Hübner-Zeit in der Hansestadt von 1962-1973 liest, wird einem ganz warm ums Herz, alles, was damals, die folgenden Jahre und bis zum heutigen Tag an weiteren Bühnen oder im Film Rang und Namen hatte, hatte Hübner um sich und in seinen Theatern versammelt, so gab der Theaterkritiker Günther Rühle (*1924) Hübner das schöne Attribut des "Menschensammler":

Es war das grosse Talent Kurt Hübners, dass es ihm gelang in allen Ecken der Republik die Talente aufzuspüren und denen er in Bremen größte Entfaltungsmöglichkeiten gestattete und ebenso eine wichtige Rolle als Mentor zufiel, die er allerdings auch für manchen schmerzhaft ausübte. Er war alles andere als ein bequemer Theaterleiter, denn er konnte durchaus zu groben Auftritten und despotischen Ausfällen neigen.

Selbst in der DDR fand er die Begabungen, so holte er auch Götz Friedrich, Meisterschüler von Walter Felsenstein an der Komischen Oper, nach Bremen, der hier sein Debüt mit Verdis Rigoletto gab (Bühne: Minks) und mit sechs weiteren großartigen Inszenierungen das Bremer Theater auch in diesem Genre über die Stadt- und Landesgrenzen hinweg bekannt machte, die vorletzte war Salome von Richard Strauss mit der schwarzen US-Sopranistin Juanita Waller in der Titelrolle, einem glänzenden Hermann Schnok als Herodes und im Bühnenbild von Reinhart Zimmermann, davor Ariadne auf Naxos, La forza del destino, Carmen, Don Giovanni, La Bohème und als allerletzte Produktion La nozze di Figaro. Die Bühnen bauten außerdem Karl-Ernst Herrmann und Josef Svoboda. Danach inszenierte Friedrich dann nur noch an den großen Bühnen des Landes und der Welt.

Und wer tauchte noch alles auf Hübners in ihren technischen Möglichkeiten begrenzten und in ihren Dimensionen eher bescheidenen Bühne auf? Alle Namen zu nennen würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, so stelle ich, was das Schauspiel betrifft, drei Sternstunden heraus:

Selbstredend Peter Stein mit seinem epochemachenden Torquato Tasso von J.W. von Goethe mit dem genialen Quartett von Jutta Lampe, Edith Clever, Bruno Ganz und Werner Rehm in dem verwirrenden Bühnenbild von wem? natürlich von Wilfried Minks.

Und mit dem gleichen Recht sei von seinen vielen Inszenierungen Peter Zadeks Maß für Maß von W. Shakespeare mit dem deutschen Text von Martin Sperr erwähnt. Nahezu das damals komplette Ensemble des Theaters spielte mit, eine rasante und übersprudelnde Aufführung, urkomisch, in der Jahrmarktskulisse von Minks. Zadek hat allein in Hübners Bremer Zeit knappe 20 Premieren abgeliefert. Grossartige Theatererlebnisse waren dabei fast immer garantiert.

Natürlich war es auch einer der Bremer Theater-Höhepunkte, als R.W. Fassbinder 1971 auf der Studiobühne im ehemaligen Concordia-Kino seine Bremer Freiheit uraufführte, mit der großen Margit Carstensen in der Titelrolle.

Eine kleine weitere Auswahl der vielen Talente und Theaterlegenden, die Kurt Hübner in Bremen, vorher in Ulm und später in Berlin um sich versammelte, will ich noch anführen, wobei sicher dabei die eine oder andere Persönlichkeit fehlen wird, die ebenso erwähnt gehörte:

  • Die Schauspielerinnen Monica Bleibtreu, Katharina Brauren, Margit Carstensen, Edith Clever, Ellen Esser, Mechthild Grossmann, Monika Hansen, Nicole Heesters, Irm Hermann, Hannelore Hoger, Brigitte Janner, Jutta Lampe, Bruni Löbel, Eva Mattes, Brigitte Mira, Elisabeth Orth, Elisabeth Trissenaar, Gisela Trowe, Katharina Tüschen und Judy Winter;

  • Die Schauspieler Karlheinz Böhm, Dieter Borsche, Traugott Buhre, Michael Degen, Helmut Erfurth, Hermann Faltis, Uwe Friedrichsen, Bruno Ganz, Heinrich Giskes, Vadim Glowna, Hans-Peter Hallwachs, Klaus Höhne, Ernst Jacobi, Gottfried John, Ignaz Kirchner, Burghart Klaußner, Michael König, Günter Lamprecht, Hans , Mahnke, Bernhard Minetti, Friedhelm Ptok, Kurt Raab, Christian Redl, Werner Rehm, Otto Sander, Fritz Schediwy, Walter Schmidinger, Peter Striebeck, Heinz Schubert, Ulrich Tukur und Ulrich Wildgruber;

  • Die Regisseure Peter Zadek, R.W. Fassbinder, Klaus Michael Grüber, Peter Palitzsch, Hans Neuenfels, Götz Friedrich und Alfred Kirchner:

  • Und als Bühnenbildner (und Regisseur!) Wilfried Minks, Karl-Ernst Herrmann, Klaus Gelhaar, Erich Wonder, ach, es fehlen so viele bedeutende Namen in dieser Aufzählung.

Nahezu alle Namen sind hier versammelt: Download | Die Stationen von Kurt Hübner 1958-1986.

Nach seiner Zeit in Bremen übernahm Hübner 1973 bis 1986 die Intendanz in Berlin das Theater der Freien Volksbühne. Und danach arbeitete er als freier Regisseur und Theaterpädagoge. 1989 kehrte Hübner tatsächlich noch einmal zurück nach Bremen und inszenierte Der Kaufmann von Venedig. Er spielte in Klaus Michael Grübers legendärer Inszenierung von Luigi Pirandello "Sechs Personen suchen einen Autor" (1981, Berlin) und 1990 spielte er den „Generaldirektor der Deutsche Röhren AG“ in dem Film Pappa ante portas von Loriot. Unter Luc Bondy spielte er in Ödön von Horvaths "Figaro lässt sich scheiden" noch 1998 im Theater in der Josefstadt in Wien.

Seine letzten Jahre verbrachte Kurt Hübner in seiner Münchner Wohnung im Stadtteil Sendling und genoss mit großem Vergnügen seine Aufenthatle in seinem Haus in der Toskana. Bis zum Schluss lebte er zusammen mit seinem langjährigen Lebensgefährten Hans-Jürgen Punte.

An dieser Stelle ziehe ich mich zurück und lasse die reichlichen Lobreden & Nachrufe sprechen, die Kurt Hübners Schaffen in Ulm, Bremen und in Berlin beschreiben und die anlässlich seines Todes am 21. August 2007 und seines 90. und 100. Geburtstages im Oktober 2016 in allen großen deutschsprachigen Zeitungen erschienen: Download | Nachrufe und Lobreden auf Kurt Hübner.

Ebenso erschien zum 100. Geburtstag von Kurt Hübner eine Festschrift, herausgegeben von der Bremischen Bürgerschaft: Download | Festschrift.

Zum Abschluss der Erinnerungen von Bruno Ganz diese schöne Anekdote über Hübners oft so unkonventionelle Arbeitsweise:

PRÄGEND FÜR DAS GANZE LEBEN

Es ist merkwürdig: Die erste spontane Erinnerung, wenn ich an Kurt Hübner denke, sind immer seine Schuhe. Er trug immer so englische Schuhe, die sehr schön waren und sehr chic, und die knarrten immer, wenn er ging. Man hörte immer: Das muß Hübner sein. Außerdem war er immer sehr gut rasiert, trug Anzüge mit Hemd und Krawatte eine gepflegte Erscheinung. Und sein Organ, seine Art zu sprechen, das ist auch ein bleibender Eindruck. Kennengelernt habe ich ihn im Bett, das heißt, er lag im Bett, war krank in seinem Schlafzimmer.

Ich wollte unbedingt nach Bremen, weil ich Fotos gesehen hatte und dachte, das ist das Theater, wo ich hin muss. Damals war ich an so einer Studentenbühne, es war Winter, und ich fuhr mit einem geliehenen Auto nach Bremen, weil ich einen Vorsprechtermin hatte, und fiel in einen Graben, musste herausgezogen werden, war unheimlich aufgeregt. Kam nach Bremen und hatte dann ein Vorsprechen mit Rolf Becker und Peter Zadek, und der Zadek, der meinte, ich sei so ein Proletenprinz. Interessant. Aber beide meinten, Hübner müsse mich auch sehen. Sie brachten mich zu ihm nach Hause in sein Schlafzimmer, da lag er also im Bett, er war erkältet, und ich musste Prinz von Homburg vorsprechen. Das weiß ich auch noch.

Und da war ich etwas erstaunt über die Heftigkeit, mit der er mich danach angriff und das alles nicht so toll fand. Er hat mir dann doch einen Vertrag angeboten, einen Anfängervertrag mit Regieassistenz-Verpflichtung, weil er sich seiner Sache wohl doch nicht so sicher war. Und nach kurzer Zeit, obwohl ich als Schauspieler noch in einem Rohzustand war, technisch wirklich nichts konnte, ließ er mich Hamlet spielen und später, was noch wahnwitziger war, den Macbeth….

Aus: Kurt Hübner – Von der Leidenschaft eines Theatermenschen von Dietmar N. Schmidt, Henschel Verlag, Berlin, 2006

 

Ich selbst habe Kurt Hübner als Statist und Kleindarsteller in den aufregenden Zeiten des Bremer Theaters und meiner Pubertät von 1964 bis 1969 erleben dürfen. Zu seinem 85. Geburtstag schrieb ich ihm dann nach sehr vielen Jahren von Barcelona aus, wo ich damals lebte, und es entstand eine kleine, leider nicht mehr allzu lange Freundschaft daraus. Meinen Brief an ihn und seine herzerfrischende Antwort kann hier nachgelesen werden:

 

Literaturhinweise:

Kurt Hübner – Von der Leidenschaft eines Theatermenschen von Dietmar N. Schmidt, Henschel Verlag, Berlin, 2006

Peter Zadek: His Way – Klaus Dermutz (Hg.), Henschel Verlag, Berlin, 2006

Peter Zadek: My Way, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2004

Wilfried Minks Bühnenbauer – Gespräche zwischen Ulrike Maack und Wilfried Minks, Suhrkamp, Frankfurt/Main, 2011

Fotos:

Oben: Kurt Hübner - 1991

Mitte links: v.r.: Kurt Hübner, Vadim Glowna, Bruno Ganz in Frühlings Erwachen von Frank Wedekind, Bremen 1965 - Regie: Peter Zadek; Bühne: Wilfried Minks

Mitte rechts: Maß für Maß von William Shakespeare, Bremen 1964 - Regie: Peter Zadek; Bühne: Wilfried Minks

Unten rechts: Bruno Ganz als Hamlet in Bremen 1985 - Regie: Kurt Hübner; Bühne: Wilfried Minks

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